Glückwunsch, Neuss!

17.11.2008

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Kirchenzeitung Köln

Zum verkaufsoffenen Samstag am 2. November 2008 - Allerseelen - schreibt der stellvertretende Chefredakteur der Kirchenzeitung, Robert Boecker, einen Kommentar:

Daran werde ich mich nie gewöhnen: Weder an Lebkuchen und Marzipankartoffeln in der Hitze des Spätsommers noch an Weihnachtslieder ab Mitte November in allen Geschäften. Den Vogel abgeschossen hat die überwiegende Mehrzahl der Geschäfte in der so auf Tradition bedachten Stadt Neuss. Während in vielen Städten und Gemeinden die Menschen am letzten Sonntag, dem Gedenktag Allerseelen, die Gräber ihrer Angehörigen und Freunde besuchten, öffneten in Neuss die Geschäfte und forderten die Menschen zum Einkaufen auf. So gut, so schlecht: Auch in anderen Kommunen wurde der Unsitte des verkaufsoffenen Sonntags an Allerseelen nachgegeben. Vielerorts glaubten die Menschen ausgerechnet an diesem Tag ihre Einkäufe tätigen zu müssen. Als ob die großzügigen Ladenschlusszeiten nicht genügend Raum und Zeit ließen, um von montags bis samstags dem Konsum zu frönen. Doch die Neusser Geschäftswelt setzte dem Ganzen mit ihrer Einladung zum „Weihnachtsshopping“ und „stimmungsvollen Einkauf“ die Krone auf. Wochenlang warben die Kaufleute mit einem weißbärtigen Weihnachtsmann, der auf einem mit Geschenken bepackten Motorroller dahinjagt. Welch ein Erlebnis, am 2. November bei „Kling Glöckchen klingelingeling“ und „O Tannenbaum“ süßer die Kassen nicht klingen zu lassen. Wie tief kann eine Kulturnation noch sinken? Allerheiligen und Allerseelen waren und sind für mich stille Gedenktage. Sie geben Anlass, innezuhalten und sich Gedanken nach dem Woher und dem Wohin zu machen. Früher war es selbstverständlich, dass diese Tage anders verbracht wurden, als „normale“ Sonn- und Feiertage. Noch gut erinnere ich mich daran, wie ich als Jugendlicher in den siebziger Jahren einmal mit meinen Freunden an Allerheiligen ins Kino gehen wollte. Mein Gott, gab das einen Aufstand bei mir zu Hause. Und heute? Die Kinder in den Kindergärten und Schulen haben ihre Martinslaternen noch nicht fertig gebastelt, da werden sie in ihrem Umfeld mit weihnachtlichem Gedudel und Getue konfrontiert. Wer kann dabei noch normal bleiben, wenn Traditionen und Werte nichts mehr zählen und dem Profitstreben geopfert werden? Nicht alle Geschäfte in Neuss beteiligten sich am Weihnachtsshopping. Hut ab vor denen, die aus Respekt vor dem Gedenktag für die Verstorbenen auf den ein oder anderen Euro Umsatz verzichteten. Alle aber, die durch ihre Teilnahme an diesen konsumorientierten Spektakeln dazu beitragen, dass in unserem Land Kultur und Tradition immer mehr den Bach hinunter- gehen, sollten sich hüten, ihren Kindern und Enkeln Vorwürfe zu machen, wenn diese demnächst an Heiligabend lieber in die Disco gehen, als im Familienkreis ein Fest zu feiern, dessen Bedeutung auch durch ein Weihnachtsshopping am Allerseelentag immer mehr untergraben wird. Es wird höchste Zeit, dass die Christen Flagge zeigen und mit aller Kraft denjenigen, die die Säkularisierung des Weihnachtsfestes betreiben, entgegentreten. Doch dazu gehört Rückgrat und Mut. Haben wir den?